Allgemein Energiewende

Status der deutschen Atomkraftwerke

Viele Leute erheben momentan die Forderung, die drei deutschen Atomkraftwerke über das Jahresende hinaus zu betreiben. Die Forderung ist auch aus Europa zu hören, teilweise wird der deutsche Atomausstieg als unsolidarisches Verhalten bezeichnet, weil damit die angespannte Energielage in Europa noch verschärft würde. Aber es gibt mehrere sehr wichtige Gründe, warum ein Weiterbetrieb der Atomkraftwerke keine gute Option ist.

Drei Kraftwerke sind noch übrig

Es sind noch drei Atomkraftwerke in Deutschland in Betrieb, die am Ende des Jahres abgeschaltet werden sollen. Insgesamt können diese zusammen knapp über 4 GW Leistung zur Verfügung stellen. Entgegen der häufig auftauchenden Behauptung Deutschland wäre von Stromimporten abhängig, exportiert Deutschland deutlich mehr Strom, als es importiert. Mit der Ausnahme von Dänemark, Norwegen und Polen nehmen alle Nachbarländer mehr Strom aus Deutschland ab, als sie nach Deutschland liefern.

Stromimporte nach Deutschland sind zum größten Teil marktbasiert, erfolgen also, weil der Import billiger ist, als es die lokale Erzeugung wäre. Dazu kommt, dass im grenznahen Bereich schon aus technischen Gründen Stromflüsse in die eine oder andere Richtung erfolgen.

Deutschlands Erzeugungskapazitäten

Auch nach dem Abschalten der letzten Atomkraftwerke wird sich an der Situation nicht viel ändern. Insgesamt sind dann etwa 220 GW Erzeugungsleistung vorhanden, wobei der inländische Bedarf in der Spitze bei etwa 75 GW liegt, Spitzen darüber hinaus sind selten. Von den 220 GW sind etwa 130 GW Solar und Wind, sowie 90 GW Kohle, Gas, Biomasse (inkl. Biogas) und Wasserkraft, also abrufbare Leistung. Also selbst in der extremen Situation einer flächendeckend windstillen Nacht stünden 15 GW mehr Erzeugungsleistung zur Verfügung als für die Verbrauchsspitze benötigt würde, was über dem üblichen Stromexport liegt.
Diese Situation ist im Übrigen sehr unwahrscheinlich, da die höchsten Verbrauchsspitzen meistens am Tag auftreten, wo mit hoher Wahrscheinlichkeit auch mindestens etwas Photovoltaik zur Verfügung steht.

Die Abschaltung der drei letzten Atomkraftwerke würde also nicht die Versorgung von Deutschland und auch nicht den Stromexport an die Nachbarländer gefährden.

Rechtliche Probleme

Die aktuelle rechtliche Situation für die Abschaltung der letzten Atomkraftwerke hat einen gewundenen und teuren Weg genommen. Ursprünglich wurde der Ausstieg im Jahr 2000 beschlossen, in 2010 wurden die Laufzeiten verlängert, um sie dann 2011 unter dem Eindruck des Unglücks in Fukusihma wieder zu kürzen. Dies hatte teure Klagen zur Folge, bis die aktuelle Situation mit dem definitiven Ende für den 31.12.2022 zustande kam. Änderungen daran drohen die gesamte Situation neu aufzurollen und ggf. Raum für weitere Klagen zu schaffen.

Im schlimmsten Fall könnte es mit der Entsorgung der drei Kraftwerke auf Steuerzahlerkosten enden. Dabei ist von mindestens 10 Mrd € pro Kraftwerk auszugehen. Hochgerechnet auf die mögliche Strommenge, die die Kraftwerke in drei zusätzlichen Monaten erzeugen könnten (90 Tage, 4 GW = 8640 GWh), wären das ca. € 3,50 pro kWh.

Organisatorische Probleme

Keine der Betreiberfirmen ist wirklich bereit, die Verlängerung um 3 Monate mit zu tragen.
Viele der Mitarbeiter der Kraftwerke werden zum Jahresende in Ruhestand gehen, oder in andere Funktionen wechseln. Neue Bedienmannschaften zu trainieren und lizenzieren dauert mehrere Jahre.

Technische Probleme

Da die Kraftwerke mit einem definitiven Schlussdatum betrieben wurden, sind diverse Wartungs- und Nachrüstungsarbeiten ausgelassen oder in reduziertem Umfang durchgeführt worden. Eine weitere Befreiung von den vorgeschriebenen Maßnahmen würde die Änderung von Gesetzen und Standards benötigen. Dazu kommt die Gefährdung durch mögliche nicht erkannte Probleme, sowie bekannte Probleme, die einen Betrieb über das Jahresende hinaus nicht empfehlenswert machen. Die nötigen Wartungs- und Reparaturarbeiten würden einen längeren Stillstand der Reaktoren benötigen, also das Gegenteil von dem, was gewünscht ist.
Der Kernbrennstoff in allen drei Reaktoren ist auch so kalkuliert, dass er bis zum Jahresende ausreicht, aber nicht oder kaum länger. Neue Brennstäbe sind nicht vorrätig und würden ebenfalls eine Abschaltung und Wartung notwendig machen.

Notfallreserve

Nach neuester Planung sollen Isar 2 und Neckar Westheim in eine sogenannte Notfallreserve gehen. Auf diese soll zurückgegriffen werden, wenn am Ende des Jahres Engpässe vorhersehbar sind. Das wäre der Fall, wenn die französischen Atomkraftwerke nicht in ausreichender Menge zurück ins Netz kommen, das Wetter sehr kalt wird und gleichzeitig die Flusspegel den Transport von Kohle zu den Kraftwerken beeinträchtigen.
Isar 2 hat bereits abgesagt, weil der Reaktor diesen Betrieb voraussichtlich nicht erlauben wird, da der Reaktor bereits jetzt im Streckbetrieb ist.

Streckbetrieb

Wenn der Kernbrennstoff eines Reaktors sich seiner Erschöpfung nähert, kann ein sogenannter Streckbetrieb gefahren werden, der es erlaubt, den Reaktor mit reduzierter Leitung noch etwas länger mit dem vorhandenen Kernbrennstoff zu betreiben. Dazu wird die Temperatur des Kühlwassers reduziert, was zu einer besseren „Moderation“ führt, also der Abbremsung der Neutronen auf die für die Kettenraktion notwendige Geschwindigkeit.
So kann zwar der Betrieb aufrecht erhalten werden, aber die Leistung fällt immer weiter ab, das Kraftwerk ist nicht mehr in der Lage, seine Nennleistung zu liefern, wird noch schlechter regelbar und wahrscheinlich kann es nach einer Abschaltung nicht wieder starten, bevor frischer Brennstoff nachgefüllt wird.

Status der drei Kraftwerke

Isar 2
Der Betreiber hat der Übernahme in die Notreserve eine Absage erteilt, da sich das Kraftwerk bereits im Streckbetrieb befindet. Wie viel Leistung zum Jahresende überhaupt noch möglich ist, ist unklar. Ein Wiederanfahren des Kraftwerks wäre ohne Neubefüllung voraussichtlich nicht möglich.
https://www.br.de/nachrichten/bayern/akw-betreiber-erteilt-reservebetrieb-von-isar-2-absage,TGkW1dH
https://twitter.com/BMWK/status/1567526727286505474
Der Betreiber macht in letzter Zeit widersprüchliche Aussagen zum Zustand des Kraftwerks:
https://www.sueddeutsche.de/bayern/energie-atomkraft-streckbetrieb-isar-2-kernkraftwerk-1.5660745

Neckar Westheim 2
Hat bekannte technische Probleme und müsste vor einem Weiterbetrieb gewartet und repariert werden.
https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/heilbronn/revision-gkn-risse-neckarwestheim-atomkraftwerk-100.html

Emsland
Das Kraftwerk Emsland befindet sich in einer Region mit viel Windkraft und einigen Kohlekraftwerken. Die Netzkapazitäten sind hier auch ohne das Atomkraftwerk der limitierende Faktor. Es ist zu erwarten, dass nach dem Abschalten des AKW weniger Windstrom abgeregelt werden wird.
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/osnabrueck_emsland/Letzte-Revision-AKW-Emsland-seit-Freitag-heruntergefahren,atomkraftwerk156.html

Fazit
Der Weiterbetrieb der drei letzten Atomkraftwerke würde relativ wenig positiv an der Versorungslage ändern. Die tatsächliche technische Verfügbarkeit ist zumindest bei Isar 2 und Neckar Westheim 2 fraglich. Es gibt viele rechtliche und organisatorische Probleme. Die Gefahr von Fehlern bei den notwendigen Gesetzesänderungen mit massiven finanziellen Folgen ist hoch.
Insgesamt ist durch den Weiterbetrieb nicht viel zu gewinnen, aber es kann zu vielen Problemen kommen. Daher sollten wir es dabei belassen am 31.12.2022 den Schlussstrich unter die Produktion von Strom mit Kernspaltungskraftwerken in Deutschland zu ziehen.